Papas Weihnachtsbaum
Aus ‚Dorfkind – Eine Kindheit auf dem Lande‘, Frank Weber 2022
Alle Jahre wieder, kurz vor Weihnachten kam fast schon traditionell die Ansage vom Papa, Freitag, Samstag oder einfach nur mal einen Nachmittag freizuhalten. Und wenn der Tag dann da war, sagte Papa: „Junge zieh dir die festen Schuhe und deine warme Jacke an. Wir müssen heute ein bisschen spazieren gehen.“ – Eigentlich war dann schon klar, was kommen sollte.
Dann reichte der Papa dem Sohn die obligatorische Tüte mit Werkzeug, die dieser zu tragen hatte. Die üblicherweise darin enthaltene Bewaffnung bestand aus Papas großem Taschenmesser – das Alte mit der Säge, einem Fuchsschwanz, das ist eine Einhandsäge, und einem Küchenbeil, mit dem man in der Regel Brot schneiden konnte, weil Papa mit dem Beil am Tag zuvor noch beim Schmied war. – Es gab ja nix Schlimmeres als schlechtes Werkzeug.
Der Weg führte dann schnurstracks in den Wald, Richtung Tannenschonung, und schon nach etwa dreißig bis vierzig Minuten war das Ziel erreicht; Papa ließ sich die Tüte mit dem Werkzeug geben und gab dem Sohn genaue Anweisung: „Du bleibst jetzt hier auf dem Weg stehen und schaust, dass niemand kommt. Wenn doch jemand kommen sollte, sagst du sofort Bescheid. Ansonsten wartest du hier, bis ich dich rufe. Wenn’s soweit ist, rufe ich dich, dann kannst du zu mir kommen und mir ein bisschen helfen.“ – Gesagt, getan. Papa verschwand in der Tannenschonung, der Sohn blieb auf dem Waldweg stehen und schaut angestrengt abwechselnd in alle Richtungen, dass auch nur niemand kommen sollte. Es kam ja auch nie jemand. Wir waren immer ungestört.
Währenddessen war es still im Wald, außer dem Geräusch von Papa’s Säge – ratsch, ratsch – und gelegentlichen Axtschlägen. Dann erschien Papa’s Kopf zwischen den Tannen: „Und? Hast du schon was gesehen?“ – „Nee. Ist noch keiner gekommen.“ –
„Okay. Dann ist ja gut. Pass weiter gut auf!“ Damit verschwand Papa dann wieder und arbeitete weiter. Einen Moment später dann ein leichtes Rauschen, wenn der kleine Baum fiel. Nach einem weiteren Moment Stille dann Papa’s flüsternde Stimme: „Junge, du kannst jetzt zu mir kommen. Du musst mir mal ein bisschen helfen.“ – Wohlbemerkt, er sagte, ein bisschen.
„Hier bin ich“ „Wo bist du?“ – „Ei, hier. Dreh dich mal um.“ Papa stand neben einem kleinen Tannenbaum, den er zuvor umgesägt hatte. Stolz verkündete er: „Das ist er, unser Weihnachtsbaum, den müssen wir jetzt nur noch nach Hause bringen.“
Papa’s Arbeitseinteilung sah dann so aus, dass er vorneweg ging, den schweren Baumstamm in der Hand; und der Sohn durfte die Baumspitze tragen, in
der anderen Hand die Tüte mit den Werkzeugen, was nicht selten einem Geschicklichkeitsparcour gleich-kam. Und von vorne kam wiederholt die besorgte Ermahnung: „Junge pass bloß auf und trete ja nicht auf die Zweige.“ – Leicht gesagt, wenn man groß ist.
Aber als Kind hat man eben noch kürzere Beine und da kommen die Füße beim Weihnachtsbaumtransport schon mal mit den Zweigen in Kontakt. Der Papa hat das dann auch immer gleich gemerkt und vorne sofort wieder angefangen zu jammern: „Pass auf die Zweige auf.“
Nun ja, die Zweige unterhalb der Spitze sind, wenn der Baum dann erst mal steht, ja auch direkt in Augenhöhe. Da kannst du nix verstecken, wenn ein Zweig abgebrochen ist.
Wenn wir den Heimweg antraten, war’s schon fast abends, es wurde dann dämmrig und im Wald auch recht frisch. Angst hatte ich keine, Papa war ja dabei, aber im Dämmerlicht im Wald wars dann ein wenig – naja – speziell.
Wenn wir dann mit unserem frisch gefällten Weihnachtsbaum Richtung Heimat marschierten, brannten in den Häusern schon die Lichter und leuchteten uns den Weg.
Der kleine Baum wurde erstmal im Garten deponiert, wo er bis am Tag vor dem Heiligen Abend stehen blieb, bevor er dann ins Wohnzimmer geholt, dort aufgestellt und mit (ausschließlich!!) roten Kugeln in allen verfügbaren Größen geschmückt wurde.
Irgendwann hatte der Nachbar von dem Weihnachtsbaumtransport Wind bekommen und lud uns ein, gemeinsam den Baum noch einmal zu begießen. Die Einladung wurde gerne angenommen, der Abend hatte aber für den jüngsten Teilnehmer ein – sagen wir‘s mal so – unrühmliches Ende. –
Als gerade mal Teenager, vielleicht konfirmiert, überhaupt (naja … fast!) keine Ahnung von Alkohol, fast erfroren und dann den neuen Weihnachtsbaum begießen. – Nur gut, dass am nächsten Tag keine Schule war!
Die Weihnachtsbäume reichten übrigens immer vom Fußboden bis zur holzvertäfelten Zimmerdecke. Dort war extra ein Haken eingeschraubt, wo der Baum festgebunden wurde, dass er nur ja nicht umfiel.
Im Laufe der Jahre waren es viele Weihnachtsfeste und Bäume, aber Papa’s Weihnachtsbäume waren doch immer die Schönsten. Die aus‘m Wald.
Aus ‚Dorfkind‘, Frank Weber 2022, Papas Weihnachtsbaum
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