Birken im Schnee
Aus „Dorfkind – eine Kindheit auf dem Lande“, Frank Weber 2022
Bei uns die Straße runter, wo die Straße aus unserer Neubausiedlung in die Landstraße mündete, so ungefähr zweihundert Meter, standen gegenüber, auf der anderen Straßenseite oberhalb des Straßengrabens, drei jungen Birken, die wir uns als Kletterbäume ausgesucht hatten. –
Die Bäume, oder besser die Bäumchen waren noch sehr jung. Ihre Stämme waren daher noch sehr dünn und wohl kaum fünf Meter hoch. Sie bogen sich unter unserem Gewicht – damals wohl kaum mehr als vierzig Kilo, wenn wir daran hochkletterten.
Ich weiß nicht mehr genau, wie alt wir damals waren, vielleicht so zehn oder elf Jahre. Es muss wohl gegen Ende der Grundschulzeit gewesen sein, aber noch vor dem Schulwechsel, die Bäume trugen noch ihr volles Laub, außerdem hätten wir nach dem Wechsel von der Grundschule aufs Gymnasium – unsere Schuljahre endeten und begannen damals im Hoch- bzw. Spätsommer – nicht mehr die Zeit gehabt für solch sportliches Treiben, von dem ich hier erzähle.
Ich weiß auch nicht mehr, wer von uns drei oder vier Jungs genau damit angefangen hatte, auf die jungen Birken zu klettern. Ich erinnere mich aber noch gut, dass wir einen Riesenspaß dabei hatten.
Wenn man nämlich zwei oder zweieinhalb Meter hoch geklettert war, also eigentlich noch gar nicht so hoch, dann bog sich das Stämmchen so sehr, dass es mit der Spitze schon wieder abwärts zeigte. Und dann rutschten wir, zuerst etwas ungeplant, später mit voller Absicht, über die nach unten zeigende Spitze des Baumes hinweg und ließen uns ins hohe Gras fallen. Der Baum richtete sich dann wieder auf, wir kullerten runter und landeten unter Gejohle im Straßen-graben.
Mit zehn, elf Jahren, kaum vierzig Kilogramm schwer, landet man noch recht weich und leicht im hohen Gras. Man rappelt sich auf, rennt den Berg wieder hoch und beginnt das Spiel von neuem.
Dass im nicht immer trockenen Gras die Hose dessen Farbe annahm, war für uns zunächst Nebensache. Für die Mutti, die die Hose waschen durfte – was sie auch mit viel Liebe immer wieder tat (so meine Wahrnehmung, damals) – war es sicher auch schön, wenn es ihrem Sohn gut ging.
Die Mutti hatte damals übrigens schon eine neue Waschmaschine. Die hatte der Papa neu gekauft, nachdem er das ganze Haus für uns gebaut hatte.
Doch zurück zu unseren drei jungen Kletterbäumen, den Birken, die einfach nicht kaputt zu kriegen waren. – Wir hatten, wie gesagt, unseren Spaß, der aber nicht mehr lange anhalten sollte. Einer von den Erwachsenen aus der Siedlung – ich weiß nicht mehr, wer’s war – hat uns verpfiffen, dass wir auf den Bäumen rumklettern. Und wir durften dann nicht mehr weiter klettern und uns planmäßig von unseren drei Kletterbirken abstürzen lassen. Also suchten wir uns fürs Erste neue Abenteuer; und davon gibt es in Neubau-gebieten reichlich. – Das dürfen Sie ruhig glauben.
Es ist, wie bereits erwähnt, lange her. Ich erinnere mich noch, dass wir unsere Kletterbäume im darauf folgenden Winter, in dem jede Menge Schnee lag, wieder entdeckten, die Birken im Schnee am Straßenrand.
Es muss Ende der Siebziger gewesen sein, wir hatten einen weißen Schneewinter. Es fuhren auf der Landstraße sehr wenige Autos, und wir entdeckten gerade unsere drei Kletterbirken neu.
Wie schon im Spätsommer kletterten wir hoch. Der noch sehr junge Baum neigte sich. Wenn die Baumspitze in Richtung Boden zeigte, ließen wir uns fallen. Wir landeten in aller Regel weich, nein, nicht im Gras, sondern im tiefen Schnee. Wir kullerten denn johlend Richtung Straßengraben. Dort rappelten uns auf und rannten den Hang wieder hoch, um sofort wieder auf den Baum zu klettern. So ging das Spiel dann auch eine ganze Weile.
Offenbar wegen des winterlichen Wetters und der Straßenverhältnisse waren noch weniger Leute unterwegs als sonst. Salz wurde noch nicht gestreut und es fuhren nur wenige Autos. Somit hatte uns auch keiner gesehen, der uns hätte verpetzen können. Wir kletterten also immer wieder auf unsere Birke. Von dort oben ließen wir uns fallen und landeten im Schnee und im Straßengraben – dann wieder von vorne.
Wir trugen damals weder Ski- noch Schneehose , und lange Unterhose schon mal gar nicht. Daher waren wir recht bald durch die Unmengen Schnee, die der Winter uns beschert hatte, doch etwas durchnässt und manchmal auch – zumindest die Jeanshose, wenn auch nur teilweise – steifgefroren. Es wurde mitunter recht kühl. Und wir retteten uns nicht selten dann zu einem von uns nach Hause, wo die Dame des Hauses die Ehre hatte, uns mit heißem Tee oder Kakao zu bewirten. Was die Muttis dann auch durchweg mit überzeugender Freundlichkeit und wohl auch sehr gerne getan haben. – Schöne Zeiten waren das.
Frank Weber ’22, Birken im Schnee aus „Dorfkind – eine Kindheit auf dem Lande“
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