Die Christgeschenke

Die Christgeschenke von Ludwig Aurbacher

Die Reihe kam nun, dem Alter nach, an Karl, der, seines Stoffes mächtig und seiner Kraft sich bewußt, ohne Anstand und Verlegenheit seine Erzählung vortrug.

In dem Hause des Hofkammerraths wohnte seit einigen Monaten im abgelegenen Hintergebäude ein alter Mann von seltsamem Aussehen und wunderlichen Sitten. Er nannte sich Albertus und gab sich für einen Mechanikus aus. Allgemein galt er aber unter den Leuten als ein Zauberer, der die Kunst verstände, Maschinen und Gefäße zu bilden, vermittelst deren sogar des Menschen geheimste Gedanken und Empfindungen verrathen würden. Indessen konnten sich nur sehr wenige rühmen, daß sie seine Werkstätte betreten und gesehen hätten. Und niemanden gelang es, irgend ein Kunstwerk von ihm auch um die höchsten gebotenen Preise zu erhalten. Er selbst lebte ganz einsam, und schien überhaupt ein Menschenfeind zu seyn. Nur die Kinder liebte er und sah sie gern um sich. Darum zog er gern in Häuser, wo sich kleine Knaben und Mädchen befanden. Nach einem Jahre aber verließ er jederzeit das Haus wieder, und zog in ein anderes in der Stadt.

Der Hofkammerrath hatte drei Kinder. Theodor, einen Knaben von sieben Jahren, Lorchen, ein Mädchen von fünf Jahren, und Hugo, der vier Jahre alt war. Anfangs fürchteten die Kinder den alten Mann mit dem finstern Gesicht und dem seltsamen Anzug. Sie gingen ihm überall aus dem Weg. Bald aber, als er ihnen ein und das andere Spielzeug schenkte, und überaus freundlich mit ihnen sprach, faßten sie allmählich Zutrauen. Sie besuchten ihn zuletzt wohl gar in seiner Werkstätte, wohin er sie eingeladen hatte. Da gab’s denn gar vielerlei zu sehen und zu versuchen. Theodor ergötzte sich besonders an einer Maschine, welche die Welt darstellte, die Sonne, den Mond, die Erde und die andern Planeten, wie sie sich in regelmäßigen Kreisen bewegten. Es war des Fragens von seiner Seite kein Ende.

Lorchen stand vorzüglich gern vor einer Landschaft, auf welcher Lämmer weideten. So natürlich, als ob sie lebten. Und ein Hirte blies von Zeit zu Zeit ein Stücklein. Hugo aber hielt sich vor allem an den Tisch, worauf Soldaten auf- und abmarschierten, einen Trommler an der Spitze. Und wie sie die Gewehre luden, und abfeuerten, daß es krachte. So unterhielten sich die Kinder stundenlang in der Werkstätte des Alten. Dieser ermahnte sie fleißig zur Zucht, Ordnung und Frömmigkeit. So oft sie kamen und zu ihm hinzu traten, hielt er ihnen einen Spiegel vor. Und als ob er darin ihre Gedanken und Handlungen leibhaftig gewahrte, nickte er dem Einen freundlichen Beifall zu, und schüttelte bei dem andern bedenklich den Kopf. Je nachdem sie Gutes oder Böses gethan oder gedacht während des Tages.

Nun erschienen die Weihnachten. Der alte Herr hatte den Kindern versprochen, das Christkindlein werde auch bei ihm jedem von ihnen etwas bescheren. Darüber freuten sie sich über die Maßen. Am Vorabende des heiligen Christfestes, nachdem die Kinder bereits von ihren Eltern beschenkt worden, holte er sie selbst ab, und führte sie in seine abgelegene Wohnung. Die große Stube war gar schön beleuchtet; in der Mitte stand ein großer Tisch mit dem funkelnden Christbaum, in dessen Zweigen Vöglein sangen, und hellleuchtende Insecten umher schwirrten. Auf demselben lagen auch die Geschenke, die jedem Kinde bestimmt waren.

Bevor der Alte sie jedoch vertheilte, sprach er: »Diese schönen Sachen, die ich euch geben will, sind kostbare Christgeschenke von ganz besonderer Art, wie sie nirgends zu haben sind. Diese Blume hier, wenn man in ihren Kelch schaut, entfaltet so schöne und mannichfaltige Farben, daß man nicht genug daran sehen kann. Diese Frucht hier, bringt man sie an den Mund, gibt solchen Wohlgeschmack, wie keine Frucht in der Welt sie zu geben vermag. Dieser Vogel endlich, wenn man das Ohr hinneigt, singt einen so schönen, lieblichen Gesang und in so mannichfaltigen Weisen, daß aller Vögel Töne dagegen nichts sind, und alle vor ihm verstummen müssen.“

Er fuhr fort: „Allein diese schönen Gestalten, dieser Wohlgeschmack und diesen Gesang vernimmt und genießt nur derjenige, dessen Herz rein ist von Neid, von Lüge und von Zornmuth. Ein Kind aber, welches Unwahres redet, das den Andern beneidet und mit dem Seinigen geizet, das sich des Ungehorsams schuldig macht und Unmuth zeigt gegen seine Eltern und Geschwister, ein solches böses Kind verdient nicht diese Christgeschenke. Es genießt nicht die geheimen Wundergaben, die darin verborgen sind.«

Also sprach Albertus; und nun wies er jedem Kinde sein Geschenk zu. Dem Theodor die Blume, dem Lorchen die Frucht, und dem kleinen Hugo den Vogel. Zuerst trat Theodor zur Blume, und sah hinein. Aber mit einem Angstgeschrei fuhr er zurück, und schrie: Eine Kröte! eine Kröte! – Lorchen nahm hierauf die Frucht in den Mund. Aber sie verzog gewaltig das Gesicht und sprudelte, als wenn sie Galle geleckt hätte. Zuletzt wagte es auch Hugo, und hielt sein Ohr dem Vogel hin. Dieser aber that einen so widerlichen Schrei, daß dem Knaben das Ohr gellte, und er wie unsinnig zurück sprang. Die Kinder standen ganz verdutzt, und sahen den Mann mit verdrießlicher Miene an, als einen, der sie habe verspotten wollen.

Dieser aber sprach mit ruhiger, ernster Stimme: »Kinder, es muß schlimm in eurem Herzen aussehen, daß diese Gottes-Gaben in Strafen sich euch verwandeln. Gestehe mir aufrichtig, Theodor, hast du dich nicht des Neides schuldig gemacht? Die Kröte, die du in der Blume gesehen, sie ist in deinem Herzen.« Theodor gestand es, daß er noch erst bei der Vertheilung der Christgeschenke der Eltern diese böse Empfindung gehabt habe. »Und du, Lorchen, gesteh‘! Hast du dir nicht heute noch eine Unwahrheit oder Lüge erlaubt? Der Gallengeschmack, den du an der Frucht gekostet, er kam aus deinem falschen Herzen.« Lorchen ward roth, und gestand, daß sie erst noch heute eine Unwahrheit gesagt habe.

Endlich wandte sich der Alte an Hugo, und fragte ihn: »Und du?« Hugo sagte sogleich: Er sey heut sehr böse gewesen, und habe heftig gezürnt. »Der widerliche Schrei des Vogels, den du gehört, sagte Albertus, das war der Widerhall aus deinem Herzen, das leicht in Zorn und Unmuth entbrennt. – Weil ihr nun aber, fuhr der Mann fort, eure Fehler aufrichtig gestanden habt, und in der guten Meinung, daß ihr euch vorgenommen, eure Unarten zu bessern, so mögt ihr es nochmal versuchen, und die Christgeschenke prüfen. Ich hoffe, daß sie euren Sinnen nun besser behagen werden.«

Hugo wagte es zuerst, sein Ohr an den Vogel zu legen. Und seine Stimme erklang so lieblich und wechselte in so vielerlei Weisen, daß es nicht zu beschreiben ist. Dann versuchte auch Lorchen ihre Frucht. Und wie sie dieselbe nur an die Lippe brachte, quoll aus ihr ein Wohlgeschmack, der mit nichts zu vergleichen war. Und je mehr sie sog, desto süßer schmeckte die Frucht. Endlich unterstand sich auch Theodor in seine Blume zu schauen. Und es war ihm, als sähe er in ein belebtes Farbenmeer, wo die einzelnen Wellen wechselweise sich hoben und senkten, und immer zu neuen Gebilden sich wundersam gestalteten. Die Kinder standen wie verzaubert und gebannt, und konnten sich nicht satt schauen und schmecken und hören.

Endlich sagte Hugo zu Lorchen: Schwester, wir wollen nun abwechseln. Höre du dem Vogel zu. Und ich will deine Frucht schmecken. Aber Albertus sagte: »Das geht nicht an. Das Werk dienet nur, dem es gegeben ist. Es hat aber ein jedes genug an dem Einen. Und es wird keinem je verleiden, so oft er es auch erfahren mag. Nur, wie gesagt, nahet euch jedes Mal mit reinem Herzen und schuldlos. Widrigen Falls wird das Böse, das euer Herz birgt, euch jederzeit an den Sinnen bestrafen.«

Das merkten und erfuhren auch die Kinder. Täglich prüften sie ihre Christgeschenke. Aber so oft Theodor Neid gezeigt, so sah er wiederum die scheußliche Kröte in seiner Blume. So oft Lorchen eine Lüge gesagt, so schmeckte sie an ihrer Frucht die abscheuliche Galle. Und so oft Hugo sich vom Zorn hat hinreißen lassen, hörte er, wenn er den Vogel prüfte, sein gellendes, widerliches Geschrei. Wollten sie denn also von Tag zu Tag das Vergnügen haben, das ihnen der Alte bereitet, so mußten sie sich wohl in Acht nehmen vor den Fehlern, die sie sonst so leicht begingen. Nach und nach, in wenigen Wochen, gewöhnten sie sich dieselben ganz ab. Theodor wurde theilnehmend und wohlthätig, Lorchen wahrhaft und aufrichtig, und Hugo sanftmüthig und gehorsam.

Noch vor Ablauf des Jahrs war Albertus aus dem Hause des Hofkammerraths ausgezogen; man wußte nicht, wohin. Die Christgeschenke verblieben aber den Kindern, und erprobten fortan ihre geheime Kraft. Man weiß aber nicht, wo sie in spätern Zeiten hingekommen. Doch man kann sie auch entbehren, denn jeder Neid, jede Lüge, jeder Zorn bestraft sich meistens von selbst. Und Liebe und Wahrhaftigkeit und Sanftmuth und Gehorsam finden ihr Lob und ihren Lohn vor Gott und den Menschen.

Ludwig Aurbacher, Hirtenbüblein-Marianne-Christgeschenke-Röschen

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