Fichtennadelduft von Gustav Schüler
Durch schwülen Wald in Sommertagen. Wo der Pirol aus Wipfeln rief, Sonst alles ruhte, alles schlief, Da ging ich, wo man Holz geschlagen. [)er sommerlichen Sonne Gluthen, Sie senkten sich in goldnen Fluthen Hin auf den unbeschützten Grund – Ein süsser Fichtennadelduft Erfüllte rings die heisse Luft Still brütend in der Lichtung Rund. Und wie auf Schwingen fortgetragen Hinflog mein Geist zu Wintertagen, Wo in des Zimmers stillem Kreis Der Tannenbaum die harz'gen Düfte Haucht in die sanftdurchwärmten Lufte, Und Rauschgold knistert zart und leis. Und meinen Busen fühlt ich's dehnen. Und mich befiel ein kindlich Sehnen Nach dir, du holde Weihnachtszeit. Was darf man in des Sommers Reichen Wohl deinem stillen Glanz vergleichen Und deiner trauten Heimlichkeit! Die Zeit verging. – In Wintertagen Da wurden Buden aufgeschlagen Mit all dem sonderlichen Tand. Das Wunder stieg vom Himmel wieder Auf die verschneite Erde nieder – Die heil'ge Weihnacht kam ins Land. Es stand die schöngeschmückte Fichte In farb'gem Glanz, in hellem Lichte. Ein goldumglänzter Märchenbaum. Doch, als der Zweige harz'ges Düften Nun schwebte in den warmen Lüften, Kam's über mich gleichwie ein Traum. Da ward mein Geist hinweggetragen Zu gluthgetränkten Sommertagen – Ich hört' ihn rufen, den Pirol, Und Vogelsang, und blühnde Wälder, Und grüne Wiesen, goldne Felder – Ein Märchen schienen sie mir wohl. – Und meinen Busen fühlt ich's dehnen, Und mich befiel ein tiefes Sehnen Mit drängend lieblicher Gewalt, Und als ein Glück, nicht auszusagen, Erschien es mir: in Sommertagen Zu wandern durch den grünen Wald!
Aus: Glockenspiel, Heinrich Seidel, Fichtennadelduft
Das Gedicht finden Sie im Buch der Weihnachtsgedichte oder auch hier
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